Gedanken vor einem Ultralauf

Oder: Wie schaffe ich es, mich nicht verrückt zu machen?

So langsam aber sicher merke ich, dass dieses Kribbeln im Bauch immer heftiger wird. Spätestens mit der letzten Infomail des Veranstalters ist mir nochmal so richtig bewusst geworden, was ich mir da eigentlich "eingebrockt" habe. Was hat mich da bloß geritten mich zu einem knapp 67 Kilometer langen Lauf anzumelden? Waren mir die 50 im Januar denn noch nicht genug? Habe ich da nicht gelitten und musste ich nicht kämpfen? Oh doch! Das musste ich. Und zwar bereits viel früher als mir lieb war. Und dennoch... es war nicht meine Grenze. Die habe ich im Januar zwar verschoben, aber keinesfalls ausgereizt. Wie es mir momentan mit meiner nächsten Herausforderung geht und wie ich versuche mich bestmöglich darauf vorzubereiten möchte ich euch hier verraten...

"Das Gefühl, wenn der Geist den Körper verlässt – Das ist Ultralaufen." - Unbekannt

Ich erinnere mich noch daran, wie ich zum ersten Mal etwas von sogenannten Ultraläufen las. Eine Mischung aus Erstaunen, Unglaube und Neugierde machte sich in mir breit. Wahnsinn wozu der menschliche Körper imstande zu sein scheint. Nachdem ich die Halbmarathon- und Marathon-Distanz erfolgreich bezwungen hatte, war ich auf der Suche nach neuen Zielen. Ich liebäugelte mit einer Triathlon-Veranstaltung, aber schlussendlich musste ich mir eingestehen, dass mich die richtig langen Distanzen zu Fuß einfach mehr faszinierten. Also fasste ich im letzten Jahr einen großen und folgenreichen Entschluss. "Eines Tages will ich die 100 Kilometer von Mainz (meine aktuelle Heimat) bis nach Koblenz (alte Heimat) laufen können." Diese Idee machte mir zwar etwas Angst, aber ich brannte sofort dafür. Wie viele Male bin ich diese Strecke bereits mit dem Zug hin und her gefahren. In einer 3-jährigen Wochenend-Beziehung kommen da einige Fahrten zusammen. Und seitdem ich in Mainz bin stehen natürlich regelmäßige Besuche in der alten Heimat an. Einmal habe ich die Strecke sogar schon mal mit dem Rad zurückgelegt (auf dem Rücken ein Rucksack voller Dreckwäsche). Lasst uns besser nicht weiter davon reden. Nur so viel: Mein Rad habe ich danach für ein paar Wochen nicht mehr angerührt... 

Seitdem ich diesen großen Entschluss gefasst habe, hat jeder Kilometer den ich laufe, plötzlich einen anderen Wert. Ich laufe ihn nicht mehr einfach so, sondern jeder Kilometer den ich sammle, ist ein kleines Puzzleteil auf dem Weg zu meinem großen Ziel. Aber wie arbeite ich mich von 42 Kilometern rauf auf 100 Kilometer? Erster Gedanke: das wird auf jeden Fall dauern! Da brauchst du Geduld. Und entgegen meinem manchmal eher ungestümen und ungeduldigen Naturell, nahm ich mir die Zeit und räumte mir selbst 2 Jahre zur Erreichung meines großen Ziels ein. Der nächste große Step waren dann die 50 Kilometer von Rodgau Anfang diesen Jahres. Quasi ein kleiner Kick-off für mich und Einstieg in die Ultra-Szene. Es war weiß Gott kein Pappenstiel. Es war sau-anstrengend, aber dennoch war es nicht so, dass es mich abgeschreckt hätte. Auch wenn ich am Ende das Ziel herbeigesehnt habe, wusste ich doch: "Wenn du noch weiter müsstest, dann würdest du es schaffen. Irgendwie geht es immer weiter." Dieses Gefühl blieb und begleitet mich seither. Danach standen erstmal wieder Halbmarathon- und Marathon-Distanzen an. Was das Training angeht bin ich fokussierter geworden. Mindestens 4 bis 5 Mal die Woche werden die Laufschuhe geschnürt und Kilometer gefressen. Alles für das große Ziel. Nun steht aber der nächste Meilenstein an. 50 Kilometer waren gerade mal die Hälfte meines großen Traums. Ende Juli mache ich den nächsten Schritt, bzw. ein paar mehr Schritte. Ich laufe eine Etappe des Deutschlandlaufs mit, die ca. 67 Kilometer umfasst. Von Oberwesel bis nach Westhofen. Je näher der Tag rückt, desto mehr spielt mein Kopf verrückt und ich versuche nicht völlig durchzudrehen. Aber die Angst vor dem Unbekannten ist eben ein angeborener Schutzmechanismus den man nicht so leicht los wird...

Was mir so im Kopf rumgeht...

Du hättest mehr trainieren sollen.
Der Klassiker. Vor jedem größeren Wettkampf kommt früher oder später dieser Gedanke bei mir auf. Allerdings sind meine bisherigen großen Wettkämpfe eben kaum damit zu vergleichen, was mich in knapp 2 Wochen erwartet. Ich kann also noch nicht mal sagen ob ich zu wenig oder zu viel trainiert habe. Ich werde es nach dem Lauf wissen und wahrscheinlich schon währenddessen. Das schlimmste was ich jetzt tun könnte wäre wohl nochmal völlig zu übertreiben und am Ende eine Verletzung zu riskieren. Wie man so schön sagt: "In den letzten 2 Wochen entscheidet sich nicht ob du gewinnst, aber du kannst alles verlieren."

 

Du hättest ein Zwischenziel wählen sollen.

42 Kilometer, 50 Kilometer, 67 Kilometer. Wie würde man diese Zahlenreihe wohl weiterführen? Erste Steigerung um lediglich 8 Kilometer und dann direkt um weitere 17. Hätte man vielleicht besser auswählen können, aber mir war wichtig, dass vor allem die Rahmenbedingungen des Laufs keinen zusätzlichen Stress bei mir verursachen. Ich wollte also Läufe, die direkt bei mir in der Region stattfinden und wo ich nicht lange anreisen muss. Außerdem sollten sich die Höhenmeter in Grenzen halten. Das ist gerade bei Ultraläufen ein Punkt, bei dem viele Läufe bei mir durchs Raster gefallen sind. Die Etappe des Deutschlandlaufs hat mich sofort angesprochen, weil sie eben sogar einen Teil meiner künftigen 100-Kilometer-Strecke abbilden wird. Zu Anfang war die Etappe länger geplant, ca. 75 Kilometer. Ich war dann doch froh, als der Veranstalter sie aus organisatorischen Gründen einkürzen musste.

 

Du hättest deinen Plan nicht öffentlich machen sollen.

Ja es stimmt. Öffentlichkeit baut einen gewissen Druck auf. Sehr lange habe ich meinen Wunsch Ultradistanzen zu laufen geheim gehalten. Aber irgendwann musste es dann einfach raus. Ich bin kein guter Geheimniskrämer und ich habe mich über die überwiegend positiven Reaktionen sehr gefreut. Natürlich gibt es auch immer wieder Leute, die einen für verrückt halten, weil so eine Strecke einfach außerhalb ihrer Vorstellungskraft liegt. Aber das ist ok. Ich glaube ein bisschen verrückt muss man sein um Ultras zu laufen. 

"Wenn ich die Wahl habe zwischen dem Nichts und dem Schmerz, dann wähle ich den Schmerz." - William Faulkner

Was also tun mit dem Kopfkino?

Wie ihr seht geht da also gerade so einiges vor in meinem Kopf. Vor allem viele widersprüchliche Gedanken. Ich versuche mich zu sortieren. Ich versuche diesen Gedanken nicht die Herrschaft über meinen Kopf zu überlassen. Beim Start eines Ultras sollte man vor allen Dingen eins haben: einen klaren Kopf. Und natürlich gute Beinchen. Ich bin mit meinem momentanen Trainingslevel zufrieden. Sicher würde immer noch mehr gehen, aber ich stehe was die Ultradistanzen angeht ja noch ganz am Anfang und muss erst ein Gefühl dafür bekommen wie ich an was herangehe. Nach dem 27. Juli werde ich auf jeden Fall eins sein: schlauer. Und wahrscheinlich ziemlich kaputt. Aber genau diese wohlige Erschöpfung ist es, die ich nach den langen Läufen so liebe. Wenn du an der Grenze dazu stehst alles hinzuschmeißen und aufzugeben, erreichst du plötzlich einen Zustand in dem alles leicht und schwer zugleich wird. Du fühlst soviel und gleichzeitig gar nichts. Das klingt schwer esoterisch wenn ich das so lese, aber leider weiß ich nicht wie ich das besser beschrieben soll. Aber genau dieser Zustand ist es, der für mich einen großen Reiz am Ultralaufen ausmacht. Drückt mir die Daumen, dass ich in den nächsten zwei Wochen nicht mehr die Treppe runterfalle, mir jemand auf den Fuß tritt oder ich vom Auto umgefahren werde. Dann kann ich ein weiteres Mal versuchen meine persönlichen Grenzen zu verschieben. Den Bericht dazu findet ihr natürlich im Anschluss auf meinem Blog. Vorausgesetzt ich verlaufe mich unterwegs nicht und bleibe für immer verschollen...

 

Liebste Laufgrüße

Eure Julia

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