Das war mein Tag!

"THIS IS YOUR DAY!" Das ist das Motto des Frankfurt Marathons. Es war mein Tag. In jeglicher Hinsicht. Es war mein bisher schönstes Marathon-Erlebnis überhaupt. Während ich euch
meinen Bericht zusammenschreibe, befinde ich mich immer noch auf meiner kleinen Glückswolke, die mich seit Sonntag trägt. Im letzten Jahr habe ich den Frankfurt Marathon von der Couch aus
verfolgt. Gebannt habe ich Arne Gabius die Daumen gedrückt und mit ihm mitgefiebert, als er den deutschen Marathon-Rekord pulverisiert hat. Da stand mein Entschluss fest: "Nächstes Jahr will
ich dabei sein!" Die Vorfreude auf dieses Mega-Event war riesig. Nicht zuletzt, weil meine komplette Familie an die Strecke kommen wollte. Hindernisse gab es dennoch zu überwinden. Denn
schließlich gibt es die Dinge, die sich zu haben lohnen, meist nicht geschenkt...
"Wenn du wartest, bis alle Umstände perfekt sind, wartest du vielleicht für immer."

Wenn ich mich auf einen Marathon vorbereite wünsche ich mir vor allem eins: Alles soll perfekt ablaufen! Ich brauche diesen hohen Grad an Sicherheit
für die Bewältigung der Königsdistanz. Auf dem Halbmarathon fühle ich mich mittlerweile auch mit ein paar Stolpersteinen immer noch sicher. Vor 42,195 Kilometern habe ich höchsten
Respekt. Es ist eine Leistung, die mein Körper nicht mal einfach so abrufen kann. Ich muss ihn wochen- oder besser gesagt: monatelang darauf vorbereiten. Und mental muss auch alles
stimmen. Ich verbanne alle negativen Gedanken, alle Zweifel aus meinem Kopf. Das muss ich. Zu Anfang meiner Laufkarriere konnte ich mit Sprüchen wie "Der Kopf leistet ab Kilometer 30 den
Großteil der Arbeit." nicht viel anfangen. Mittlerweile bedeutet mir meine mentale Stärke viel und im Zweifel sogar mehr als die reine körperliche Konstitution. Natürlich kamen in den
letzten Wochen der Vorbereitung immer wieder die altbekannten Fragen auf "Hab ich wirklich genug trainiert?", "Passt meine Ernährung?" , "Hättest du nicht doch..."
oder "Solltest du vielleicht noch...". Ich denke diese Fragen stellt sich jeder Läufer so kurz vor einem wichtigen Wettkampf. Nachdem ich bei meinem letzten Marathon in Mainz durch
überraschend hohe Temperaturen sehr zu kämpfen hatte, rechnete ich mir bei kühlerem Wetter gute Chancen aus eine neue Bestzeit zu laufen. Besonders freute ich mich über den Support meiner
kompletten Familie. Ich hatte mit Ihnen bereits feste Anfeuerungspunkte ausgemacht und träumte in der letzten Woche vorm Marathon von dem Moment, in dem ich sie an der Strecke erblicken
würde. Der letzte Long Run mit Tobi, eine Woche vor dem Wettkampf, verlief auch gut und in den letzten Tagen vorm Marathon standen nur noch Carbo-Loading und zwei lockere Läufe an. Einer davon,
sollte mir zum Verhängnis werden...
"Eine Sekunde kann alles verändern."
Zu den Dingen, die man ein paar Tage vorm Marathonlauf NICHT tun sollte gehört auf jeden Fall: Sich von einem Auto anfahren lassen. Ja Leute, genau das ist mir leider bei meinem letzten kurzen Lockerungslauf am Donnerstagabend passiert. Daher kann ich nur nochmal an alle Läuferinnen und Läufer, gerade jetzt in der dunklen Jahreszeit, appellieren: Passt gut auf euch auf! Auch Reflektionskleidung und Gucken, bevor man die Straße überquert, konnten mich vor diesem unschönen Erlebnis nicht bewahren. Ich hatte Glück im Unglück und habe wie durch ein Wunder nur ein paar blauen Flecken und einen leichten Schock davon getragen. Mein Kopf blieb unversehrt. Natürlich machte ich mir danach trotzdem Sorgen ob man linkes Bein, das vom Auto direkt erwischt wurde, den Marathon durchstehen würde. Am Knie bildete sich ein Bluterguss gegen den ich in den zwei darauffolgenden Tagen tat was ich konnte. Ganz verschwunden war er bis Sonntag aber natürlich noch nicht. Sicher wird es hierzu geteilte Meinungen geben. Hätte ich schon im Ruhezustand schlimme Schmerzen gehabt, wäre ich sicher nicht beim Lauf angetreten. Aber bis auf den Bluterguss am Knie ging es mir soweit gut und deshalb wollte ich es zumindest versuchen. Schon allein um dieses ohnehin schon schlimme Erlebnis des Unfalls für mich nicht noch schlimmer im Kopf zu machen. Ich wollte das Ganze wieder ins Positive umdrehen. Dieser Vorfall zeigte mir mal wieder, dass man, egal wie gut man sich vorbereitet hat, eben niemals alle äußeren Faktoren koordinieren kann. Am Ende gehört doch auch immer ein Quäntchen Glück dazu, damit alles perfekt wird.
Laufmesse

Von Mainz aus ist es nach Frankfurt glücklicherweise nicht weit. Also mussten wir uns keine Unterkunft organisieren, sondern konnten am Samstag und Sonntag ganz
einfach mit dem Zug pendeln. Unsere Startunterlagen holten wir am Samstag Nachmittag auf der Messe ab. Vor Ort war alles gut organisiert. Auf der linken Seite erhielten wir
unsere Startnummern und die Leihchips und auf der rechten Seite unseren prall gefüllten Starterbeutel. Danach schlenderten wir noch etwas über die Messe. Ich fand es insgesamt etwas
unübersichtlich. So wirklich Lust zum Verweilen kam bei mir an dem Tag nicht auf. Vielleicht lag das aber auch einfach daran, dass ich aufgeregt war und Hummeln im Hintern hatte. Am
Asics Stand wollte ich mir eigentlich ein persönliches Pace-Armband ausdrucken lassen. Diese Idee fand ich ziemlich cool und hilfreich.
Allerdings war ich damit nicht alleine. Die Schlange war sehr lang und so verzichtete ich am Ende auf das Pace-Armband. Tobi und ich deckten uns noch mit ein paar
Dextro Energy Gels in der Sorte Apfel ein und ich legte mir ein cooles, knalliges Kopfband von Compressport zu. Denn bei mehr als 15.000 Marathonis will man schließlich
auffallen. Außerdem hab ich mir noch einen neuen Laufgurt zugelegt in dem ich meine ganzen Gels verstauen konnte. Ja, ihr habt richtig gelesen. Laufgurt. Eigentlich hatte ich mit dem Thema schon
abgeschlossen, weil ich bisher nur schlechte Erfahrungen damit gemacht habe. Immer sind sie hin und her gerutscht oder auf und ab gewippt. Schrecklich! Aber der Laufgurt von Aktiv3 hat mich wirklich überzeugt. Er ist ein echtes Raumwunder und
sitzt total angenehm ohne Rutschen oder Wippen auf der Hüfte. Das Beste: Man kann sogar seine Startnummer dran befestigen und weil ich nicht wollte, dass mein schönes Sightrunning-Logo
verdeckt wird, war diese Kombi die perfekte Lösung für mich. Die Promidichte war auf der Laufmesse unheimlich hoch. Von Triathlon-Weltmeister Jan Frodeno, über den Rekordläufer
Arne Gabius bis hin zum Ultraläufer Florian Neuschwander war einiges
geboten. Und wo sie waren herrschte natürlich großes Gedränge. Das ist nichts für mich, aber es war trotzdem cool den ein oder anderen mal live und in Farbe zu sehen. Nach ca. zwei Stunden
Aufenthalt traten wir den Rückweg nach Mainz an um uns noch etwas zu entspannen und um natürlich noch ausgiebig zu essen.

Der Abend vor dem grossen Tag

Zu Hause wurden die neuen Errungenschaften gleich sortiert und der Starterbeutel nochmal in Ruhe durchstöbert. Neben den üblichen Gimmicks gefiel mir besonders die
blaue Trinkflasche und der Jubiläums-Jutebeutel. Zum Abendessen gönnten wir uns eine große Portion Nudeln mit Veggie-Bolognese, also ganz klassisch. Später waren wir noch auf
einem Geburtstag eingeladen, bei dem wir allerdings nur kurz vorbeischauten. Vor kurzen Läufen sehe ich es nicht so eng, wenn man am Abend zuvor auch nochmal etwas feiert. Vorm Marathon
brauche ich aber die Zeit für mich und zum Fokussieren. Tobi und ich legten also unsere Ausrüstung für den nächsten Tag bereit um morgens nicht Gefahr zu laufen etwas zu vergessen und
nutzten die Zeitumstellung voll aus, da uns dadurch sogar noch eine Stunde Schlaf geschenkt wurde. Vor Veranstaltungen bin ich immer etwas aufgeregt. Dennoch schlief ich in dieser Nacht relativ
ruhig und freute mich auf meinen Jahresabschluss in Frankfurt.
Sunday - runday

Der Wecker klingelte an diesem Morgen um 6.30 Uhr. Ich wollte mich morgens nicht abhetzen. Damit mich meine Haare bei dem langen Lauf nicht stören,
entschied ich mich, sie zu so genannten Boxer Braids einzuflechten. Diese halten besser als ein einfacher Zopf und sehen auch noch süß aus, wie ich finde. Jaja, am Ende bleibe
ich eben doch Mädchen. Nachdem mein Flechtwerk vollbracht war, weckte ich Tobi und wir frühstückten gemeinsam. Auch beim Essen gab es natürlich keine Experimente. Ich wollte
eigentlich zwei Brötchen mit Honig essen. Allerdings bekam ich durch die Aufregung dann doch nur eins runter. Aber besser als gar nichts. Ich zwinge mir nichts rein, wenn ich merke es
geht nicht. Wichtig ist, dass man vor allem am Tag davor gut und genug isst. Und das habe ich getan. Nach dem Frühstück zogen wir uns fertig an und machten uns schließlich um viertel vor
acht auf in Richtung Bahnhof. Unser Zug nach Frankfurt fuhr um 8.14 Uhr und kam sehr pünktlich. Natürlich waren wir im Zug nicht die einzigen Läufer auf dem Weg zum Marathon. Schnell kam ich mit
einem Staffelläufer ins Gespräch, der sich auch schon sehr auf den Lauf freute und zwei nette Damen wünschten mir viel Erfolg. Das ist Balsam für die Seele und man freut sich über die
Ablenkung. Von Frankfurt HBF wollten wir eigentlich mit der S-Bahn weiter zum Startbereich bei der Messe fahren. Da die S-Bahnen viel Verspätung hatten, gingen wir dann aber doch zu Fuß.
Das waren auch nur 10 Minuten und somit völlig ok. Vor Ort mussten wir nochmal kurz auf der Laufmesse vorbeischauen, da ich im Tran am Vortag unsere Chips durcheinander gebracht hatte und wir
nicht mehr zuordnen konnten, welcher Chip zu wem gehörte. Das wurde bei der Startnummernausgabe nochmal kurz geprüft und dann konnten wir uns nach dem obligatorischen Toilettengang zum
Startbereich begeben um uns noch etwas aufzuwärmen.
Kurz vor dem Startschuss
Nachdem wir uns aufgewärmt hatten und nun gespannt auf den Startschuss warteten, traf ich plötzlich unter all den Tausenden Läufern ein bekanntes Gesicht. Daniel und ich kannten uns über meine alte Agentur und er wollte nun seinen ersten Marathon bestreiten. Daniel, an dieser Stelle nochmal vielen Dank für das nette Gespräch vor dem Lauf! Dank dir hatten Tobi und ich gar keine Chance so richtig nervös zu werden und konnten ganz entspannt starten. Wir liefen mit der zweiten Welle an und erreichten schließlich nach ca. 10 bis 15 Minuten den Startbogen. Begleitet von wummernden Bässen, strahlendem Sonnenschein und vielen begeisterten Zuschauern machten wir uns also auf um die Stadt zu erobern.
Kilometer 1 bis 10 - Den Rhythmus finden
Tobi uns ich hatten uns entschlossen die ersten Kilometer gemeinsam zu laufen. Ich wollte eigentlich im 6.45er Tempo anlaufen. Durch die ganze Euphorie, die der Start und das tolle Wetter in mir auslösten, absolvierte ich die ersten Kilometer allerdings deutlich schneller in um die 6.15. Da ich mich damit gut fühlte, beschloss ich das Tempo nicht merklich zu drosseln, sondern es erstmal einfach rollen zu lassen. Die ersten Kilometer führten im Zick-Zack durch die Innenstadt und es gab viel zu sehen. Vor allem gab es dort unheimliche viele Cheer-Points und so vergingen die ersten Kilometer schneller als gedacht. Voll war es natürlich auch auf der Strecke, aber man konnte sich immer noch gut seinen Weg bahnen. Bei Kilometer 10 sagte Tobi mir schließlich, dass er nun gerne etwas schneller laufen würde. Wir gaben uns noch einen Kuss und dann ließ ich ihn ziehen. Beim Marathon muss jeder sein eigenes Tempo laufen. Das ist das Wichtigste.
Kilometer 12 - Zweifeln

"Bitte halt durch kleines Beinchen!" Ich habe zwar keine schlimmen Schmerzen, aber ich merke, wie der Bluterguss links neben meinem Knie drückt und so die Blutzufuhr zu meinem Unterschenkel nicht mehr optimal ist. Die Wade geht zwar nicht komplett zu, aber es wird etwas unrunder beim Laufen. Ich beruhige mich selbst und gehe im Kopf meine Mantras durch. Immer schön einen Fuß vor den anderen. Das wird schon wieder. Ich rede mir selbst gut zu. Nach ein paar weiteren Kilometern wird es tatsächlich wieder besser. Als ich das Schild mit der 15 sehe, laufe ich wieder rund. Mehr sogar: Ich laufe richtig gut. Die Kilometer fliegen nur so dahin. Ich bin im flow, wie man so schön sagt. Ich wünsche mir, dass es anhält...
Kilometer 20 - Fliegen
Und es hält an! Ich stürme der Halbmarathon-Marke entgegen und fühle mich super. Meinen Beinen geht es gut und ich halte mein Tempo konstant. Kurz vor Kilometer 20 höre ich Musik. Marusha - Somewhere over the Rainbow, aus den 90ern. Auch wenn ich sonst kein riesen Technofan bin, jetzt gerade könnte ich mir nichts besseres wünschen. Ich folge der Musik. Sie wird lauter. Meine Schritte werden leichter. Ein Kribbeln im Nacken kündigt mir ein kleines Runner's High an. Ich könnte mich nicht besser fühlen. Ich tanze fast beim Laufen. Ich genieße diesen Zustand so lange er andauert. Nach einem weiteren Kilometer ist dieses Hoch zwar vorbei, aber ich bleibe konstant auf einem guten Level und freue mich auf die nächsten Kilometer.
Kilometer 21 bis 28 - Geniessen
Die Kilometer, die nach der Halbmarathon-Marke kommen, haben mir sonst immer Angst gemacht. Ich wusste bisher nie so ganz, womit ich rechnen konnte. In Mainz war man nach 21 Kilometern immer sehr allein auf der Strecke unterwegs. Hier ist das ganz anders. Ich befinde mich immer noch in einem großen Pulk von Läufern. Zwischendurch überholt man mal oder wird überholt. Aber man ist niemals allein. Die Zuschauer an der Strecke feuern uns unglaublich an. Sie freuen sich uns zu sehen. Sie wollen, dass wir es schaffen. Ich kann kaum glauben, wie gut ich mich immer noch fühle. Ich glaube mein Körper hat sich mittlerweile an das höhere Laufpensum gewöhnt und kann besser mit der Energie haushalten. Aber natürlich überlasse ich diesmal in punkto Verpflegung auch nichts dem Zufall. Nach Kilometer 10 habe ich alle 4 bis 5 Kilometer ein halbes Gel zu mir genommen. Lieber kleinere Mengen und dafür öfter um meinen Magen nicht zu überlasten. Dazwischen trinke ich. An jeder Verpflegungsstation schnappe ich mir einen Becher, aber trinke ihn nie ganz aus. Auch das wäre zuviel für meinen Magen. Mein Verpflegungskonzept geht auf. Super! Gedanklich klopfe ich mir auf die Schulter. Neben den Marathonis sind auch Staffelläufer unterwegs. Auf Kilometer 27 komme ich mit zwei netten Mädels ins Gespräch, die mich fragen ob ich weiß, wo sich die nächste Wechselzone befindet. Leider weiß ich das natürlich nicht und erst da wird ihnen klar, dass ich keine Staffelläuferin bin, sondern mich der kompletten Distanz stelle. Sie beglückwünschen mich mit einem "Du siehst noch super aus!" zu meiner guten Form und ich freue mich über das nette Kompliment. Ich sage ihnen, dass es nun nicht mehr weit ist, bis ich meine Familie bei Kilometer 37 sehe und ziehe weiter.
Kilometer 30 - nochmal fliegen
Als ich das Schild mit der 30 sehe, bin ich überwältigt. Wie kann es bloß sein, dass es mir immer noch so fucking gut geht? Die Beine rollen nur so vor sich hin. Dem Kopf geht’s gut. Ich höre von weitem die nächste Musik-Station und in der Ferne das Lied "Rather be" von Jess Glynne. Als ich die Station schließlich erreiche kommt gerade der Refrain. Ich kann nicht anders. Ich muss mitsingen und kurz abgrooven. Am Rand stehen vier Jungs, die damit nicht gerechnet haben und erst lachen und dann klatschen. Ja, wenn ich mich so umschaue, dann kann ich das Erstaunen der Jungs durchaus verstehen. Jenseits der 30 Kilometer ähneln einige Läufer doch eher Zombies. Auf ihren Gesichtern tut sich nicht mehr viel. Gefühlsregungen würden zuviel Energie kosten. Es gibt sogar Läufer, die sich über Menschen wie mich, die dann noch rumhüpfen und mitsingen, regelrecht aufregen. Das ist mir natürlich egal. Ich kann beides absolut verstehen. Ich weiß, wie es ist, wenn man nach 30 Kilometern absolut im Arsch ist und seit Sonntag weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn du dann noch singen kannst. Zweiteres ist mir lieber.
Kilometer 31 bis 36 - Vorfreude
Nun bin ich wieder auf dem Weg in die Innenstadt. Ich zähle die Kilometer runter bis ich meine Familie sehe. An Kilometer 37 wollen sie stehen. Ich habe das Schild bereits heute morgen gesehen, weil der Anfang der Strecke sich damit überschnitten hat. So langsam merke ich nun auch doch die Anstrengung und muss mich zwischendurch auf meine Atmung und meine Schritte konzentrieren. Doch es läuft noch. Das ist die Hauptsache. Wie es Tobi wohl geht? Wie weit er wohl schon ist? Ich habe während der letzten Kilometer oft an ihn gedacht und freue mich bereits darauf ihn im Ziel in die Arme zu schließen. Und vor allem hoffe ich, dass meine Family ihn auch nochmal so richtig gepusht hat. Ich erkenne nun die Straßen wieder und weiß, dass Kilometer 37 ganz nah ist. Ich gebe Gas und will jetzt nur noch meine Familie sehen.
"Es sind nicht die Momente, in denen wir atmen, die das Leben lebenswert machen. Es sind die Momente, die dir den Atem rauben."
Kilometer 37 - abheben
Ich bin auf der Geraden. Gleich da hinten muss irgendwo die 37 sein. Ich spähe, ich halte Ausschau. Und schließlich sehe ich sie. DA IST MEINE FAMILY! Ich winke ihnen schon von weitem zu. Ich erkenne, dass sie ein Schild für mich gemacht. Ich könnte platzen vor Freude! "GEEEIIIL!" rufe ich ihnen zu, gefolgt von irgendwelchen verrückten Quietschlauten. Sie rufen meinen Namen. Alle sind da: Papa, Mama, Sarah, Tanja, Daniel und sogar die kleine Tilda (alias der süßeste Hund der Welt). Ich drücke jeden von Ihnen und bekomme Küsschen. Sie freuen sich zu sehen, dass es mir noch so gut geht. Das merke ich. Auch wenn es nur ein paar Sekunden sind in denen ich sie sehe, pusht mich das immens. Ich laufe mit einem Glücksgefühl weiter, das mich die nächsten Kilometer sicher schaffen lässt. Außerdem werden sie mich gleich bei Kilometer 41 nochmal anfeuern. Ich kann mich also weiter freuen.
Kilometer 38 bis 40 - ein bisschen kämpfen
Die Innenstadt ist proppenvoll. Der Zuspruch der Zuschauer ist immens. An jeder Ecke lesen sie meinen Namen von der Startnummer ab und feuern mich an. Das ist toll. Dennoch merke ich so langsam, dass ich nun schon fast 40 Kilometer in den Knochen habe. Das Kopfsteinpflaster über das ich nochmal rüber muss gefällt mir nun gar nicht mehr und ich bin froh, dass es gleich wieder auf die asphaltierte Straße geht. Kurz nach dem Opernplatz beobachte ich eine schreckliche Szene. Ein Mann ist zusammengebrochen und liegt am Rand. Um ihn herum 5 bis 6 Helfer und Sanitäter. Es herrscht Aufruhr. Der Mann liegt reglos da. Er wird beatmet. Der Sanitäter macht Herzmassage. Aber der Mann bewegt sich nicht. Ich habe nur ein paar Sekunden um das alles zu beobachten, aber was ich sehe, geht mir durch Mark und Bein. Ich werde traurig bei dem Gedanken, dass irgendwo vielleicht seine Familie wartet und nicht weiß, dass er gerade ums Überleben kämpft. Ich bin dankbar dafür, dass ich noch laufe und dass es mir gut geht. Mein Unfall schießt mir nochmal durch den Kopf. Ich kann nichts dagegen tun. Der hätte auch anders ausgehen können und ich hätte reglos am Boden gelegen ohne, dass einer meiner Liebsten etwas davon weiß... Ich laufe weiter. Es ist das einzige, was ich in dem Moment tun kann. Ich hoffe, dass der Mann wieder aufwachen wird...
Kilometer 41 - Gemeinsam Richtung Ziel
Ich versuche die negativen Gedanken des letzten Kilometers auszublenden. Ich muss es. Denn auch wenn das Ziel schon ganz nah ist. Sicher geschafft, hast du es auch auf Kilometer 41 noch nicht. Zum Glück wartet hier nochmal meine Familie auf mich. Sie feuern mich genauso lautstark an wie beim ersten Mal. Ich umarme sie und mein Paps begleitet mich sogar auf dem letzten Kilometer. Ich freue mich sehr darüber und genieße es die letzten Meter gemeinsam mit ihm zu laufen. Es sind so viele Menschen da. Läufer, Zuschauer, Freunde, Familien, Kinder. Überall wird geklatscht und Musik gespielt. Wir biegen nun auf die letzte Gerade vorm Zieleinlauf in der Festhalle ein. Ohne Startnummer darf mein Paps natürlich nicht bis in die Festhalle mitlaufen und so verlässt er mich schließlich mit letzten Anfeuerungsrufen kurz vor dem großen Finale.
Zieleinlauf

Ich höre meinen Namen auf den letzten 195 Metern gefühlte hundert mal. So viele Menschen feuern uns an. Sie tragen uns regelrecht ins Ziel. Als ich zur Festhalle einbiege fange ich an zu kreischen und zu jubeln. Die Freude muss raus! Meine Zeit habe ich schon seit einigen Kilometern nicht mehr wirklich im Blick. Das brauche ich nicht. Ich spüre, dass ich gut unterwegs war. Als ich den roten Teppich betrete und die Scheinwerfer samt Zieltor sehe, flippe ich aus. Ich quietsche, reiße die Arme hoch. Ich wünschte dieser Moment würde ewig dauern. Es fühlt sich so schön an! Ich klatsche den Moderator ab und laufe über die Zielmatte. Es herrscht das bekannte Gewusel aus Läufern und Helfern. Ich stoppe meine Uhr. Ich bin unter 4.50 geblieben. Zum ersten Mal. Mein Gefühl hat mich also nicht getäuscht. Auf meinem Handy finde ich eine Nachricht von Tobi. Er wartet im Zielbereich auf mich. Draußen erhalte ich dann auch endlich meine Medaille. Nummer 7 in meiner Sammlung. Das Gewicht um meinen Hals fühlt sich wohlig an. Nachdem ich Tobi gefunden habe, nehmen wir uns noch ein Bierchen mit und suchen meine Familie. Sie warten draußen vor der Skulptur "Mann mit Hammer". Ich werde gedrückt, geherzt und beglückwünscht und freue mich, dass der Mann mit dem Hammer mich heute verschont hat. Was ein geiler Tag! Was ein mega Lauf! Das Leben ist schön!
Nach dem Lauf ist vor dem Lauf
Frankfurt war für dieses Jahr mein Saisonabschluss. Und ich hätte mir keinen besseren wünschen können. Nun werde ich mir erstmal etwas Ruhe gönnen und meinem linken Bein erlauben sich richtig zu regenerieren. Auch wenn es nach so einem tollen Lauferlebnis natürlich schwer fällt die Füße still zu halten. Mitte November werde ich dann mein Training wieder aufnehmen, da meine nächste Saison schon sehr bald startet. Anders als in den Jahren zuvor, habe ich mir diesmal meinen ersten Wettkampf bereits Ende Januar gelegt. Und mit diesem Wettkampf will ich für mich die nächste Stufe in meinem Läuferleben erreichen. Es wird mein erster Ultramarathon! Auf mich warten die 50 Kilometer von Rodgau. Nach dem mega Lauf in Frankfurt, blicke ich positiv Richtung Ultra. Die knapp 8 Kilometer mehr, werde ich schon noch schaffen. Und wenn mein Kopf das sagt, werden die Beine mitziehen. Das weiß ich. In diesem Sinne nochmal herzlichen Glückwunsch an alle Finisher des diesjährigen Frankfurt Marathons und ein großes DANKE an alle Helfer und Organisatoren. Es war mein Tag!
Liebste Laufgrüße
Eure Julia
Anteilnahme
Einen Tag nach dem Marathon las ich online die Nachricht, dass der Mann, den ich bei Kilometer 39 auf dem Boden liegend gesehen hatte, später im Krankenhaus verstorben war. Ich kenne diesen Mann nicht. Er ist eigentlich ein völlig Fremder. Dennoch machte mich diese Nachricht sehr traurig. Wir sind dasselbe Rennen gelaufen, haben die gleichen Dinge gesehen an diesem Tag, von dem er sicher nicht gedacht hätte, dass es sein letzter sein wird. Seinen Angehörigen möchte ich hiermit - auch wenn ich sie genauso wenig kenne wie ihn - mein Beileid aussprechen. Ich wünsche euch viel Kraft um diesen Verlust zu verarbeiten.
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Hans (Montag, 07 November 2016 16:17)
Schöner Bericht und tolle Einstellung zum Lauf!
Claudia (Montag, 07 November 2016 22:11)
Sehr schön geschrieben